Foto: Dierk Schäfer // Creativ Commons 2.0 by

StartUp-Szene Deutschland. UdL-digital-Talk am 20. Februar 2013

Mit Bundeswirtschaftsminister Dr. Philipp Rösler und Philipp Herrmann

Wirtschaftswunder

Die übergeordnete Frage des Abends im BASE_camp  in Berlin-Mitte lautete: “Werden Startups Deutschland zu neuem Wirtschaftswachstum verhelfen und somit unser neues Wirtschaftswunder werden?” Jedenfalls war das die Frage, auf deren Beantwortung ich gespannt war. Eingeladen waren Wirtschaftsminister Rösler und Philipp Herrmann von etventure. Die Diskussion auf dem Podium leitete wie immer Cherno Jobatey.

Gründerkultur in Deutschland

Zunächst wurde die Gründerkultur in Deutschland mit jener in den USA verglichen. Rösler war kurz zuvor (für einen Tag) im Silicon Valley. Philipp Hermann hat an der Stanford University studiert und im Valley gearbeitet. Folgende Unterschiede zwischen den USA und Deutschland wurden benannt:

  • Gründer-Spirit und Entrepreneurship werden in den USA schon an der Uni gefördert, insbesondere durch die Möglichkeit der Vernetzung (in naturwissenschaftlichen Fächern kommen – so Herrmann – täglich StartUp-Unternehmer in Vorlesungen).
  • In Deutschland gibt es wenige Innovationen im Bereich Hardware.
  • Es gibt in Deutschland zu wenige VCs, insbesondere aber zu wenige Privatinvestoren (ich vermute: Letzteres erschwert vor allem  Seed- und Angel-Investments).
  • Durch das mangelnde Kapital sind die Möglichkeiten der StartUps beschränkt.

 

Gründer-Geist und Entrepreneur-Spirit

Ich persönlich finde den Begriff der Gründerkultur schwierig. Kultur klingt statisch, historisch und bedarf – um sich schnell zu ändern bzw. zu einer ‘neuen’ Kultur zu werden – eines Paradigmenwechsels. Ich glaube eher daran, dass ein bestimmter ‘Lebensgeist’ bzw. Unternehmergeist Menschen inspirieren und Unternehmen fördern kann. Und so ist meines Erachtens jegliche Frage an Rösler, die mit “Braucht es eine staatliche xyz?” anfängt, redundant – und davon wurden an diesem Abend einige gestellt.

Willkommenskultur

Auch die Willkommenskultur in Deutschland wurde angesprochen. Hochqualifizierte Arbeitnehmer und/oder Unternehmer haben es hierzulande immer noch nicht leicht. Hier drängt sich mir erneut die Interpretation auf, dass allein das harmlose Wort ‘Kultur’ das Festhalten an der bestehenden (Nicht-Willkommens-)Kultur fördert. Nur ein kleines Beispiel dazu: Ich bekam mit, wie in der Filiale einer Bank in der Friedrichstraße eine Engländerin ein Konto eröffnen wollte und mit den Worte abgewiesen wurde: “Wir sprechen hier kein Englisch und dürfen Sie deshalb nicht beraten”. Shocking.

Wirtschaftswunder?

Ich hätte mir beim UdL-Talk noch mehr Wirtschaftswunder-Talk gewünscht. Denn der Begriff Wirtschaftswunder birgt einiges Potenzial, um über die StartUp-Szene nachzudenken.

Auferstanden aus Ruinen?

C. Otto Scharmer  behauptet in seiner Theorie U, die sich mit Change-Prozessen befasst, dass Neues und Innovatives besonders in solchen Situationen entstehe, in denen man alles ‘Alte’ verloren habe (d.h. wenn man vor tatsächlichen Ruinen steht, nicht nur vor sprichwörtlichen). Die Rekonstruktionsthese zum Wirtschaftswunder sieht dies ebenso. Nach dem Motto “je oller je doller” geht diese These davon aus, dass das Wirtschaftswachstum der Nachkriegszeit um so größer war, je mehr ein Land zerstört war. Unser Glück in Deutschland 2013 besteht darin, dass sich momentan weder das Land noch eine  Branche wie Phönix aus der Asche komplett neu erfinden muss.

This is not America

Ein weiterer Erklärungsansatz des historischen Wirtschaftswunders ist der Aufholeffekt . Wir beobachten ihn bei Ländern, die rasant vom sogenannten Entwicklungs- zum Schwellen- bzw. Industrieland werden. Und ja – genau so war das damals auch in Westdeutschland. Und schon damals haben wir uns an den USA gemessen. Aber heute funktioniert das nicht mehr. Das Wirtschaftswunder ist nicht wiederholbar – es hat weder nach 1990 in den neuen Bundesländern funktioniert, noch scheint es sich gerade in Berlin oder in Deutschland in der StarUp-Szene zu wiederholen.

Mehr geistvolles Miteinander und Spirit – weniger Kultur

Dass die StartUp-Szene in Berlin aber trotzdem lebendig und erfolgreich neue Ideen auf den Markt bringt, spricht dafür, dass es zumindest in Berlin einen Spirit gibt, der dies ermöglicht. Ohne Wowereits Dazutun, ohne Förderung des Bundeswirtschaftsministers. Weil es immer wieder Menschen gibt, die das können – sich und ein Business neu zu erfinden, ohne dem hinterher zu trauern, was vielleicht nicht mehr ist. Und das heißt auch – ohne sich Leid zu tun, dass wir hier nicht in den USA sind.

Und was meint Ihr?

Was assoziiert Ihr mit dem Begriff oder der Zeit des Wirtschaftswunders? Und welchen Zusammenhang seht Ihr zwischen diesen Attributen und der StartUp-Szene in Berlin 2013?

Mich hat der Talk im BASE_camp und die nachfolgenden Gespräche jedenfalls mal wieder sehr zum Nachdenken angeregt. Danke dafür. Und einen expliziten Dank an das engagierte Team der E-Plus-Hauptstadtrepräsentanz, das diese Talks immer wieder organisiert.

Weitere Berichte vom Talk bei

 

 

Foto: Dierk Schäfer // Creativ Commons 2.0 by

Das wundervolle Bild aus Wirtschaftswunderzeiten habe ich unter CC-Lizenz 2.0 BY auf flickr gefunden: http-//www.flickr.com/photos/dierkschaefer/2951663060/in/photostream/