Keep calm and carry on telling your story

Storytelling in Content-Marketing, Social-Media-Management und Community-Management?

Storytelling in neuen Kontexten – Teil 2

Dies ist die Fortsetzung zum letzten Blogpost, in dem es um Storytelling in Präsentationen ging. Dort stellte ich Kategorien der Erzähltextanalyse vor und habe an Beispielen gezeigt, dass diese uns helfen, Präsentationen zu planen und zu halten. Heute erkunde ich die Grenzen des Storytelling in neuen Kontexten – wieder anhand von Begriffen aus der Literaturwissenschaft.

Meine These vom vergangenen Blogpost möchte ich heute variieren:

Kategorien, die mir die Analyse von literarischen Texten ermöglichen, zeigen mir  in neuen Kontexten – z.B. [...] im Content Marketing, Social-Media- und Community Management – worauf es beim Storytelling wirklich ankommt.

Themen und Stoffe

Worum geht es, wenn Unternehmen Storytelling in den genannten drei Kontexten einsetzen? Was ist das Sujet, der Stoff der Geschichten?

Unternehmen kommunizieren über die Produkte und Dienstleistungen ihres Unternehmens, den Kundennutzen, die Erlebnisse ihrer Kunden oder der Alltag ihrer Mitarbeiter, wenn sie Geschichten erzählen. Wenn die Marke stark ist, können auch Werte und Emotionen, für die diese Marke steht, subtil in Geschichten verpackt werden, ohne dass das Produkt explizit im Vordergrund thematisiert werden muss.

Wie letzte Woche im Kontext der Präsentationen erklärt, überlegen wir uns im Content-Marketing also einen Redaktionsplan und wählen Geschichten aus, die wir zu einer Handlung (einem Plot) gestalten. Die jeweiligen Geschichten veröffentlichen wir häppchenweise oder als Ganzes auf der eigenen Webseite, in eigenen (oder fremden) Blogs sowie auf unseren Unternehmenseiten/-profilen bei entsprechenden Plattformen (YouTube, Google+, Twitter, Facebook). Es gibt verschiedene medialen Formate (Text, Foto, Podcast, Video) und verschiedene inhaltliche Formate (Listen, Bestenlisten, White Paper, Anleitungen, Rezensionen, Präsentation/Slides, Berichte von Events, Interviews mit Kunden, Experten oder Mitarbeitern u.v.m.).

Je näher ich jedoch das unternehmerische Geschichtenerzählen in diesen neuen Kontexten aus der Sicht einer Literaturwissenschaftlerin betrachte, desto eher erkenne ich die Grenzen, an die der Begriff Storytelling im Digitalen stößt. Aber eins nach dem anderen.

Foto: Caroline Kliemt

Erzählperspektive revisited: Wer spricht und wessen Sichtweise wird wiedergegeben?

Je mehr die Geschichten, die ein Unternehmen digital von sich erzählt, von ‘oben herab’ aus einer Adlerperspektive erzählt werden, desto stärker wird eine Distanz zum Leser und potenziellen Kunden aufgebaut. Je mehr die Sichtweise der erzählenden Stimme sich am Erleben (der Handlung, dem Plot) beteiligt, desto mehr Nähe entsteht. Der Haken an der Sache: So bald ich die Nähe als Leser nicht echt finde, werde ich sie als  ’Anbiederung’ empfinden und das kommentieren.

 

“Drama, baby!”- das Dilemma: Web 2.0 ist Theater

Die größte Herausforderung für Storyteller und Content-Marketer ist jedoch, dass sie Geschichten erzählen können, so viel sie wollen: Der Leser hat seine eigene Lesart des Geschriebenen, und er reagiert auf seine Interpretation des Ganzen. Durch das sogenannte Web 2.0 ist es uns als Usern und Kunden möglich geworden, die Geschichten, die Unternehmen erzählen, unmittelbar mitzugestalten. Die Kommentare in Foren, auf Facebook und auf Google+ sehen aus wie die Texte in unseren Reclam-Heften früher: Da steht ein Name, dann ein Text, dann wieder eine Name, dann ein Text. Wenn wir die Gattung korrekt benennen wollten, würden wir in digitalen Kontexten also von Drama (Handlungen mit mehreren Akteuren live auf der Bühne Internet) anstatt von Storytelling (erzählten Geschichten) sprechen.

Beispiele dafür gibt es allein bei der Deutschen Bahn genügend. Ein positives Beispiel hat Daniel Backhaus schon im Interview genannt; ein typisches Beispiel, wie die Story des Social-Media-Teams für Frust und Nebenschauplätze genutzt wird, gibt es z.B. hier. Sehr schön versteht man in letzterem Beispiel übrigens, was Pfister mit “implizite figuraler Selbstcharakterisierung” meint.

 

Storytelling wird top down geplant und findet bottom up statt

Das Dilemma und damit die Grenze des Storytelling zeigt sich insbesondere im Detail, nämlich überall dort in den Communities (Foren, Facebook-Seiten, Google+ Seiten und ‘lebendigen Blogs’), wo Rezipienten schnell mit Kommentaren zur Hand sind. Sie haben ihre eigene Sichtweise und sehen sich als Betroffene und deshalb Mitwirkende der Handlung. Die Story ist aber aus ihrer Sicht nicht korrekt wiedergegeben! Deshalb sprechen sie (bzw. schreiben sie) ihren eigenen Text, ihre eigene Rolle.

Das bedeutet: Der Content-Manager, der glaubt, er könne seinen Zielgruppen top down Inhalte eintrichtern, unterliegt einer Illusion. Durch die Mitwirkung der anderen Beteiligten (Rollen, Stakeholder – wie auch immer wir sie nennen) entsteht ein Drama, in dem die Informationen an unterschiedlichen Orten im Netz bottom up vergeben werden.

 

“The fiction is that reality exists”

Die Fragen der Erzählperspektive Who sees? Who speaks? beantwortet das Web 2.0 mit They see, they speak – many to many.

 

 

Fazit für Content-Marketer:

  1. Storytelling im Internet ist nicht Geschichten erzählen sondern Dramen improvisieren.
  2. Es gibt so viele Lesarten Deiner Geschichte, wie es User im Internet gibt. Deshalb plane für gutes Storytelling im Internet den Freiraum ein, den sich die User ohnehin nehmen, wenn sie durch ihre Kommentare Deine Geschichte mit gestalten.
  3. Storytelling top down ist nur bedingt planbar. Du kannst versuchen, in der Handlung Deiner Geschichte eine Führungsrolle zu übernehmen, aber kontrollieren kannst Du sie nicht.
  4. Freu Dich, dass Informationen von Kommentatoren ‘bottom up’ Deine Geschichte bereichern: Sie wird als lebensechter und weniger kategorisch empfunden.

 

Das Drama im Internet

Informationen, die bottom up vergeben werden, verdichten Deine Geschichte aus einem überraschenden Blickwinkel oder erzählen gar eine ganz andere Story? Diese Informationen stammen von spontanen Mitspielern in selbst gewählten Rollen? Das sind die echten Geschichten – schade, dass wir sie immer nur ‘Shitstorm’ nennen.

 

Ich komme aus Köln

 

Von Charakterisierungstechniken, Trollen und Königen

In seinem Grundlagenbuch Das Drama (von 1980) definiert Manfred Pfister Kategorien, mit denen man Dramen (also Theaterstücke) analysieren kann. Er unterscheidet explizite und implizite Charakterisierungstechniken.

  • Explizite Charakterisierung: Charakterzuschreibung in klaren Worten.
  • Implizite Charakterisierung: Charakterzuschreibungen durch die Art und Weise, wie jemand spricht und handelt.

Außerdem unterscheidet er die auktoriale und die figurale Charakterisierung.

  • Auktoriale Charakterisierung: Ein Sprecher/Regisseur/Autor charakterisiert von außerhalb der Handlung die Figur im Drama.
  • Figurale Charakterisierung: Eine handelnde Figur im Drama charakterisiert sich selbst oder eine andere Figur im Stück.

Foto: Caroline Kliemt

Diese Charakterisierungstechniken helfen bei der Konzeption von Social-Media-Leitfäden und im alltäglichen Job von Community Managern. Erstens lehren sie Gelassenheit: Denn negativ schreibende User und Trolle charakterisieren sich implizit selbst. Wenn sie im Hinblick auf Netiquette über die Stränge schlagen, löst die Community das meist unter sich. Für Community Management wichtig: ‘Auktoriale’ Zuschreibungen wie ‘Troll’ hört weder der/die Betroffene noch die Community gerne. Auch subtilere explizite Charakterzuschreibungen, die aber ebenfalls in Richtung “Du Troll” gehen, werden ungern gelesen. Und auch wenn der Community Manager sich als eine “Figur” der Handlung empfindet – die Community-Mitglieder werden ihn oder sie immer als “auktorial”, d.h.  als Vertreter, wenn nicht sogar als Vasallen, des Unternehmens sehen, für das er agiert.

 

Fazit für Community Manager:

  1. Die Community empfindet das Drama meist anders, als Dein Unternehmen die Geschichte erzählen wollte – das ist normal.
  2. Die Community sieht Dich als auktoriale Instanz, auch wenn Du Dich selbst als Akteur auf der Bühne siehst.
  3. Überlegenheit im Sinne von Souveränität kannst Du Dir nur verdienen, indem Du Dich implizit und explizit immer wieder als wertschätzender, fairer und überwiegend sachlicher Kommunikator mit makelloser Netiquette erweist.
  4. Gelassenheit gewinnst Du, in dem Du den User für Dich im stillen Kämmerlein charakterisierst – und dann positiv auf sein sachliches Anliegen reagierst.
  5. Den Charakter eines Users explizit zu beschreiben würde ich als Community Manager unbedingt vermeiden. Auch bei Deinen impliziten Äußerungen (bei der Art und Weise der eigenen Reaktion) ist Gelassenheit gefordert.
  6. “Don’t feed the troll.” ist eine Handlungsoption – die aber seitens der Redaktion niemals explizit gemacht werden darf. Bei Nicht-Reaktion auf begründete Kritik besteht zudem die Gefahr, dass der Kunden/User interpretiert: “Die behandeln mich wie einen Troll”.
  7. Du könntest auch beim diplomatischen Corps arbeiten.

 

Fazit für Social-Media-Manager:

  1. Löst Euch von dem Gedanken, Stories eindeutig erzählen zu können.
  2. Gebt Euren Community Managern die Möglichkeit, sich kollegial auzutauschen. (D.h. es braucht für den Job zwei Leute.)
  3. Die Reakionen Eurer Redaktion werden besser, wenn Reaktionszeiten auf Kommentare so geplant sind, dass reine Sachinformation von der impliziten Selbst-Charakterisierung des Schreibenden getrennt betrachtet werden. Es hilft, sehr kritische Kommentare von mindestens zwei Redakteuren/Community-Managern bearbeiten zu lassen.
  4. Deshalb: Stellt genügend Community Manager ein, damit das Drama auch von Unternehmensseite genügend ‘Stoff’ bekommt.

 

Prinzessin

Nachwort: Improvisieren im Storytelling

Vor fünf Jahren besuchte ich mit einer Kollegin einen Impro-Theater-Kurs. Begeistert gründeten wir anschließend eine eigene Gruppe, in der wir Methoden des Improvisationstheaters ausprobieren, um sie in unsere Arbeit als Kommunikationstrainer bzw. kreative Kommunikatoren zu übernehmen.

Für Storytelling in digitalen Kontexten und gerade für Community Manager sind die Regeln und die Kommunikationsweise des Improtheaters Gold wert:

  • “Ja genau” sagen zum Einfall des Mitspielers (des Kommentierenden).
  • Mit diesem Einfall von außen weiter spielen und die eigene Geschichte damit bereichern, auch wenn Dir der Gedanke eher wie ein Überfall vorkommt ;)
  • Spielerisch Deine eigenen Emotionen und Reaktionen ausprobieren und in eine positiv-konstruktive Richtung lenken.
  • Geschichten zu einem glücklichen Ende bringen, die andere unglücklich begonnen haben.

Wenn Ihr also Lust auf eine Session Impro-Theater für Community Manager beim Community Camp 2013 habt – die leite ich gerne für Euch.

 

Comments

  1. Tim

    Hallo Caroline,
    ich finde den Ansatz der Stories genial – ich habe das gleich mit in das Teammeeting genommen. Du schreibst von einem Redaktionsplan – muss der im Hinblick auf das Storytelling irgendwie anders sein? Wir haben unseren üblichen Redaktionsplan, den wir für Content-Marketing-Aktionen nutzen, mal auf coseed veröffentlicht. Würde mich über dein Feedback freuen!

    • Hallo Tim,

      uaaah – Dein Kommentar war in 525 Spam-Kommentaren verschwunden. Sorry. Ich schaue mir Euren Redaktionsplan mal an – und ich antworte auch bald auf Deine Mail. Ganz liebe Grüße
      Caroline

  2. Du hast natürlich völlig recht, Joachim. Erstaunlicherweise kann ich persönlich damit in Präsentationen besser umgehen – denn sofern sie nicht aufgezeichnet werden, ist es ja nicht dokumentiert. Im Internet bleibt jedoch jede Reaktion der “anderen” Mitspieler und von mir für immer als Urtext dokumentiert. Im Einsen und Nullen in Stein gemeißelt :)

  3. Ja genau. (Hab ich gerade gelernt.) Das möchte ich gerne auf Live-Vorträge erweitern. Auch dort finden Geschichten Bottom-Up statt. Denn entweder reagiert das Publikum gar nicht – was ja auch wieder eine Reaktion ist, oder gibt eben Einwürfe, Fragen dazu, und auch das gibt der Geschichte wieder einen neuen Dreh. Also: Ich würde hier nicht unbedingt zwischen Online und Offline trennen. Außer dass Geschichten online länger nachzulesen sind als sich offline jemand wörtlich dran erinnern kann.

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